Capitol Offenbach - 19. Mai 2012

(Bakenfalter geht aus)

 

 

 

 

„Plitsch“ meint meine linke Sandale, während die rechte sich ausschweigt. Womöglich ist sie bereits in der vorletzten Riesenpfütze ersoffen und daher nicht mehr bei Stimme. Ganz im Gegensatz zu Alexander Veljanov heute Abend im Capitol in Bad Offenbach am Bad Offenbacher Kreuz. Ich frage mich zum aberwiederholten Male, wie so viel geniales Bassbariton aus einer für einen Mann doch sehr zierlichen Figur herauskommen und mir so tief unter die Haut gehen kann…

 

 

 

Ich bin auf dem Heimweg von meinem spontan in die Tat umgesetzten samstagabendlichen Konzertausflug, der – wie sollte es anders sein – in allerbester nachtlichter-Tradition mit Imponderabilien gespickt war. Dabei fing alles einer harmlos-gediegenen Dame in den Vierzigern gebührend an. Die Frisur saß an der richtigen Stelle, die fröhlich-schwarze Klamotte machte was her, alles Nötige war eingepackt (nebst Jacke, Limo und Schirm für alle Fälle) und ich zuckelte pünktlich los. Kalt war es nicht, ganz und gar nicht, und ich war froh, nur ein kleines Schwarzes mit Bolero zu tragen. Als ich schließlich den doch etwas weiter entfernt wartenden Carsharing-Corsa erreichte, war das Outfit schon nicht mehr ganz so damenhaft, sondern verschwitzt und bedingt durch die megaenge Garage, in die jemand den Corsa mit einem Schuhanzieher appliziert haben musste, staubig, denn ich musste mich an dem Gefährt Richtung Windschutzscheibe vorbeidrängeln. Schon ziemlich angesäuert zückte ich die Codekarte und es passierte… nix. Die Karre ging nicht auf. Auch beim viereinhalbsten Versuch nicht. Dafür fand ich in der dreckig-dunklen distalen Garagenecke einen zusammengefalteten Fünf-Euro-Schein, der mir in dieser Situation aber auch nicht weiterhelfen konnte. Also rief ich bei book-n-drive an und schilderte mein Problem. Der verbindliche junge Hotliner stellte natürlich der Reihe nach sämtliche unnötigen Fragen, bevor wir zum Wesentlichen kommen konnten. Er versuchte auf dem kurzen Dienstweg, die Fernsteuerung der Schließautomatik zu überzeugen, mich reinzulassen, bat mich, es nochmals mit meiner Codekarte zu versuchen – nix. Ich hatte nicht mehr soviel Zeit, schließlich waren nicht nur Frankfurt, sondern auch die Zufahrtswege nach Bad Offenbach blockupied. Der junge Mann schlug eine Kommunikation seinerseits mit dem Bordcomputer off-phone und einen Rückruf wenige Minuten später vor. Ich sah schon das Konzert ohne mich stattfinden, doch der Rückruf erfolgte tatsächlich nach 5 stundenlangen Minuten. Fazit: Es war nichts zu machen, der Vorbenutzer hatte den Schlüssel nicht richtig in die Haltevorrichtung geschoben und drum blieb der Corsa verschlossen. „Gibt es eine Alternative?“, japste ich kurz vor dem bevorstehenden Ende meiner Contenance. Der zuvorkommende Hotliner schickte mich daraufhin zu einem anderen Corsa 10 Fußminuten Richtung Innenstadt entfernt, welcher sich sogar öffnen und starten ließ. Klimaanlage an, kalte Luft ins knallrote Nachtlichtgesicht und nix wie los. Die Fahrt zog sich, die Zeit wurde knäpper, doch schließlich erreichte ich wie geplant den Parkplatz am Main, von dem aus es nicht allzu weit zum Capitol war. Dummerweise parkten dort heute keine Autos, sondern Schießbuden, Karussels, K**zschleudern und Zuckerwattefabrikanten. Offenbacher Volksfest stand dran. Klasse! Also schnell ein zackiger U-Turn und ein Parkplatz gesucht! Gute Idee, die schwarzen Gestalten, die Richtung Capitol strömten, hatten offensichtlich alle schon einen gefunden… Schließlich parkte ich fernab von Gut und Böse, bestückte mich mit meinem Allzweckbeutel, der so gar nichts von einem damenhaften Abendtäschchen hat, nahm noch einen gehörigen Schluck aus der Limopulle und ließ alles andere im Corsa. Der Bad Offenbacher Abend war ein wunderschöner. Vögel sangen aus voller Kehle, aber ich war ja nicht so weit ostwärts gefahren, um ihnen zuzuhören. So preschte ich durch einen mir unbekannten Park, fand glücklicherweise nach nur 10 min. die richtige Hauptstraße wieder und nur wenige Gehminuten später das Capitol. 7 vor 8, das passte! Danach parkte ich mich zunächst im falschen Bereich der Galerie und war vorübergehend froh, endlich angekommen zu sein. Bis mich eine freundliche Frau darauf hinwies, dass ich ihren Platz besetzte. „Kann nicht sein, ich hab Platz 12 in der 1. Reihe“, triumphierte ich und zückte mein Ticket. Galerie Mitte stand da drauf. Und nicht rechts. OK – umso besser. Ich schob mich mühsam an trolfzig übergewichtigen Junggruftis in der 1. Reihe Mitte vorbei und ließ mich schließlich erschöpft auf dem richtigen Sitz nieder. Und prellte mir beide Knie – diese 1. Reihe war verdammt eng, dafür war aber die Sicht auf die Bühne sehr viel besser. Es blieb mir nichts anderes übrig, als in den kommenden zweieinhalb Stunden verschiedenste Bakenfaltoptionen für meine langen Beine auszuprobieren. Richtig bequem war keine, aber das ließ sich verschmerzen, denn nun traten sie auf:

 

 

 

Deine Lakaien, Ernst Horn und Alexander Veljanov, gewandet wie eh und je. Ernst in seinem nicht mehr ganz schwarzen Pullover, dafür aber mit Strickjacke drüber und Alexander hochgeschlossen mit einer überlangärmeligen Anzugjacke. Das Licht erlosch und dann war da nur noch die Musik, die mich genauso zu berühren vermochte wie beim allerersten Mal.

 

 

 

"zutiefst

 

getroffen

 

doch nicht verletzt

 

kein Blut rinnt

 

nur Tränen

 

tropfen

 

spiegeln

 

den dunkelroten Samt der Töne

 

die mich warm umhüllen

 

und gegen den Schmerz

 

wappnen"

 

 

 

schrieb ich im Februar 2009.

 

 

 

Ich habe es genossen, „die alten Gassenhauer“ zu hören, die mir inzwischen so vertraut geworden sind und die mir doch immer wieder eine ausgeprägte Gänsehaut bescheren. Schön war es aber auch, die Songs aus dem neuen Indicator-Album in der akustischen Version zu genießen. „One Night“ war klasse. Zum Glück wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass es als Zugabe das Ganze auch noch auf Deutsch gab. Das hätten sich die beiden verkneifen können, finde ich, es machte doch einen etwas seltsamen Eindruck. Umgeworfen (im sprichwörtlichen Sinne, denn ich kauerte ja zusammengefaltet und eingeklemmt) hat mich „Blue Heart“. Das hätte ich gern noch einmal und noch mal und immer wieder gehört. Aber auch die „green feather on the ground“ aus Away. Nicht nur die ruhigeren, gefühlvollen Stücke waren grandios, auch Over and Done und die Mirror Men brachten den Saal zum Kochen. Virtuos ist eine Untertreibung für Ernsts Klavierspiel. Er verdrosch das Innere des wehrlosen Flügels wieder einmal nach Strich und Faden, positionierte Wasserflasche und Glas ebenfalls im Inneren des Pianos, entlockte dem Instrument Töne von Percussion- über Cembalo-ähnliche Klänge bis hin zum Unbeschreiblichen. Entzückt war ich auch vom Spiel seiner linken Hand im Dreivierteltakt bei „Follow Me“. Der Musiker Ernst Horn ist ein Genie. Es tat mir leid, zu sehen, wie sehr ihn sein extrovertiertes Spiel erschöpft hat und ich hoffe und wünsche mir, dass er uns trotzdem noch lange, lange erhalten bleibt. Alexander natürlich auch, sie sind nur ( mindestens) zu zweit „Deine Lakaien“.

 

 

 

Alexanders Moderationen waren wie immer ein wenig kantig, obwohl er sichtlich gut aufgelegt war. Er ist nun einmal keine Rampensau, aber gerade seine kleinen Unsicherheiten, die manchmal etwas linkisch anmutende Gestik machen ihn nur umso sympathischer. „Jetzt kommt ein Lied“ war eine der Ansagen. Nach der Pause verkündete er „Jetzt geht es weiter!“ Ach so! Es war für mich eine wunderbare Erfahrung, „meine“ Lakaien nach längerer Abstinenz wieder live und in Farbe zu hören. In viele, viele der Lieder habe ich mich hineinfühlen können, die wunderbare Stimme von Alexander genossen und mir gewünscht, dass er damit nicht so bald wieder aufhören möge. Aber irgendwann geht auch ein Lakaien-Konzert zu Ende. Es folgten zwei Zugaben, darunter das doch recht schnulzig anmutende „Bei Nacht“. Und schließlich meinte Alexander „Das folgende Lied mögen alle!“ Stimmt. „Love Me to the End“ – oh ja, ich denke, das werde ich.

 

 

 

Danach war dann leider wirklich Schluss. Das ausverkaufte Capitol leerte sich. Kurz vor den Türen kam der Strom ins Stocken, denn draußen strömte es auch, aber wie. Aus dem vor Stunden noch so schönen Abendhimmel goss es wie bescheuert. Mutig drängte ich mich durch die wasserscheuen Konzertbesucher und setzte mich Verschwitzte den Fluten aus. Man kann schon richtig schön nass werden, wenn der Weg zum Auto ein weiter ist und Schirm und Jacke sicher im Trockenen liegen. Aber so etwas vermag eine Piratin nicht zu schockieren. Nach einem kleineren Umweg fand ich den Corsa sogar und verirrte mich auch nur unwesentlich, weil ich durch die total beschlagenen Scheiben nicht so ganz den Durchblick hatte. Schließlich sind die richtigen Knöpfe und Schalter in einem fremden Auto auch nicht so leicht zu finden, wenn frau meint, auf der Stelle losfahren zu müssen. Trotz alledem ließ sich sowohl mein Sachsenhausen als auch des Corsas Parkplatz wiederfinden. Und nach 20 Minuten Marsch dieses Mal durch einen Frankfurter Wolkenbruch kamen ein trockener Schirm, eine betröpfelte Jacke und ein klatschnasses Nachtlicht wieder zu Hause an. Letztere mit einem zufrieden-verklärten Grinsen in der so gar nicht mehr damenhaften Aufmachung. Die Frisur war übrigens Vergangenheit.