Ein Abend in Ota

Dienstag war ein ganz besonders schöner Tag. Wir hatten kühne Pläne für den Abend, die wir unbedingt in die Tat umzusetzen gedachten - um 18:30 das L'Alba-Konzert in der Kirche und danach ein korsisches Abendessen Chez Marie. Daher fassten wir uns nachmittags am Strand relativ kurz, d. h., wir lungerten nicht lange in der Sonne herum, sondern stiegen gleich zum Schnorcheln ins Meer, das überraschend warm und ruhig war, so dass wir viel sehen konnten. SUCH a big fish and I eated it all!!! (geklauter cat content, vor allem stimmt es nicht, dass große Blubberblasen aufstiegen, als ich nach der maritimen Zwischenmahlzeit ein Bäuerchen machen musste).

Nach dem Duschen hübschten wir uns auf und stiegen in entstaubte Schuhe, bevor wir in Porto noch ein bisschen einkauften und danach nach Ota weiterfuhren. Der kleine Ort empfing uns noch freundlicher als am Samstag, denn jetzt wussten wir, wo wir parken konnten, ohne von einem ungehaltenen Einwohner vertrieben zu werden. OK, seine Sichtweise im Hinblick auf permanent einfallende Touristenhorden, deren Vehikel im Weg herum stehen und den Einheimischen ihre Parkplätze nehmen, kann ich gut nachvollziehen - aber da wir aus straßenverkehrsordentlicher Sicht nichts falsch gemacht hatten, wäre ein etwas freundlicherer Hinweis auf "Anwohnerparken" angemessen gewesen, zumal ich mit dem Herrn in seiner Sprache parlierte.

 

 

Vor der Kirche kauften wir unsere Billets und lauschten auf einem Mäuerchen sitzend gespannt und verzückt dem vielversprechenden Soundcheck. Pünktlich um 18:30 Uhr durften wir hinein und setzten uns in die noch freie erste Reihe, sahen uns in der kleinen Kirche um.

Das kleine Schwein neben dem heiligen Mann entzückte uns sehr, genau wie das maritime Gerippe. Ein Kameramann und seine Tontechnikerin bereiteten ihre Ausrüstung vor.

 

 

Es dauerte nicht lange, bis die Musiker ihre Plätze einnahmen. Drei von ihnen stimmten einen eindrucksvollen polyphonen a cappella - Gesang an. Ines und ich lächelten uns an - hier waren wir richtig!

"Nous espérons simplement que le temps d’un concert les gens voyagent avec nous sur l’île bercée par l’esprit méditerranéen." (Wir hoffen einfach, dass die Leute während eines Konzerts mit uns auf der vom mediterranen Esprit gewiegten Insel reisen.) Dieses Zitat habe ich im Netz gefunden. Genau das war auch der Tenor der einleitenden Worte des Akustikgitarristen.

Und dann spielten sie zu fünft mit ihren Gitarren, Bass, indischem Harmonium, Geige und Klarinette/Flöte auf und sangen unbeschreiblich schön. Wir sind in den Klängen versunken, haben uns nur zu gern von L'Alba auf ihre mediterrane Reise mitnehmen lassen, waren unserer alltäglichen Realität entrückt und fühlten nur noch das korsische Hier und Jetzt.

 

 

Leise Töne und leidenschaftliche Rhythmen wechselten einander ab, genau wie polyphone Gesänge von zwei oder drei Musikern und Darbietungen der gesamten Gruppe.

Insbesondere Sebastien Lafarge hat mich mit seinem hingebungsvollen Gesang zutiefst berührt. Er lebt beim Singen die dargebotenen Lieder, lässt mich, auch wenn ich die korsischen Worte fast gar nicht verstehe, mitfühlen.

 

Sebastien Lafarge singt
Sebastien Lafarge singt

 

Einige der Lieder kannten wir schon, so wie das mitreißende Ajde Jano vom Balkan. Andere hingegen waren uns neu, so wie die beiden eindrucksvollen Zugaben - zwei Somgs vom neuen Album, das nächstes Jahr erscheinen wird. Beeindruckend war auch die gekonnte Choreografie des Kameramannes, dessen harmonische Bewegungen sich in das Gesamtkunstwerk einfügten, ohne störend zu wirken.

Ein kleines bisschen traurig waren wir, als das Konzert nach den beiden Zugaben schon vorbei war. Zu gerne hätten wir noch „Sta mane“ gehört. Das hätte mir vollends die Fassung geraubt und nicht nur für tief bewegte Gänsehautmomente wie bei den Stücken vorher gesorgt. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge verließen wir die Kirche – voller Vorfreude auf das Konzert in Lumio nächste Woche an unserem letzten Abend auf Korsika.

 

 

Durch ein schon in Schatten versunkenes Ota schritten wir zu unserem nächsten Programmpunkt, dem korsischen Abendessen Chez Marie. Bei einer herrlichen Aussicht von der Terrasse auf Ota und die Berge in der abendlichen Sonne wählten wir das Menu mit einer Gemüsesuppe au pistou (Ines) und einer Terrine quelque chose (ihren Namen habe ich vergessen) als Vorspeisen, danach natürlich Wildschwein für beide. Chez Marie war sehr viel los. Angesichts des tollen Panoramas und unserer lebhaften Nachbereitung des Konzerts störte es uns nicht, dass alles ein wenig länger dauerte. Auch nicht, dass wir statt der bestellten nicht alkoholischen Getränke eine große Karaffe mit eiskaltem Wasser bekamen, denn das war genau das richtige und schmeckte gut.

 

 

Unsere Vorspeisen mundeten hervorragend, wobei die Portion Gemüsesuppe eine sehr große war, die wir (glücklicherweise) nicht aufaßen. Marie und ihr Sohn (nehme ich an) wirkten schon ganz schön fertig, als sie uns schließlich sehr viel wildes Schwein und dicke Bohnen servierten. Zum Niederknien lecker, insbesondere die reichlich vorhandene Wildschweinsoße. Aber auch die Bohnen waren gut abgeschmeckt. Ines kapitulierte etwas eher als ich, zu gut schmeckte mir das Wildschwein. Das Fleisch schaffte auch ich nicht, aber ich dippte Brot in die Soße und löffelte sie schließlich direkt aus der Schüssel. Zwei vollgefressenen Obelixen gleich lehnten wir uns zurück und genossen ein Päuschen.

 

 

Inzwischen war es fast dunkel geworden und Chez Marie hatte sich geleert. Wir freuten uns auf einen süßen Abschluss eines genialen Menüs. Die Familie am Nachbartisch hatte bereits das Dessert bestellt. Ansonsten saßen keine anderen Gäste mehr auf der Terrasse. Marie und ihr Sohn waren nur noch sporadisch zu sehen. Irgendwann war ich versucht, selbst den Tisch abzuräumen. Auch unsere Nachbarn unterhielten sich über leere Teller und Schüsseln hinweg. Die Zeit verging, unsere Versuche, auf uns aufmerksam zu machen, blieben frustran. Ich hatte schon längst mein Jäckchen angezogen, fröstelte aber trotzdem im Halbdunkel.

 

Es wurde immer später und so sehnte ich mich gegen 21:45 Uhr nach ein bisschen Wärme in unserer Holzhütte. Also stand ich auf und sah auf dem Weg zur Toilette Marie hinter der Theke, ihren Sohn bei der Abrechnung mit Gästen diskutierend. Daher verschwand ich erst einmal. Auf dem Rückweg war der Sohn ebenfalls verschwunden. Daher wandte ich mich freundlich an Marie und teilte ihr auf französisch mit, dass wir gern ein Dessert auswählen würden und später gern die Rechnung hätten. Mürrisch verwies sie darauf, dass dafür ihr Sohn zuständig wäre. „Mais je ne le trouve pas!“ „Aber ich finde ihn nicht“, entgegnete ich in komischer Verzweiflung. Alles lachte schallend. Der Sohn tauchte zerknirscht auf, entschuldigte sich vielmals und meinte, dass er alles schon mit Ines geregelt hätte. Diese saß grinsend am Tisch. WÜrzige Käsestücken wollten verzehrt werden. Köstlichst!!! Die Auswahl der süßen Desserts war jedoch noch nicht erfolgt. Diese ließ mangels Service auch noch lange auf sich warten, denn die Abrechnung ging schließlich vor. Als unsere Tischnachbarn ihren Nachtisch bekamen, insistierte ich, so dass wir nach 10 min. bereits unsere Crème caramel und Crème de Chataigne aus dem Kühlschrank erhielten. Vorsichtshalber fragte ich gleich nach der Rechnung. Unsere Nachbarn durften schon zahlen und aufstehen. Wir warteten weiterhin im Halbdunkel und Ines äußerte Bedenken im Hinblick auf das Passieren des engen Kilometers auf der D81 zwischen Porto und Bussaglia im Zappendustern. „Da ist um diese Zeit niemand mehr“, versuchte ich sie zu beruhigen. Maries Sohn tauchte gehetzt auf, um mir mitzuteilen, dass es noch zwei Minuten mit der Rechnung dauern würde. Das Kleingeld in meinem Portemonnaie klapperte bereits mit den Zähnen und versuchte, sich in die Scheine einzuwickeln. Um 22:30 Uhr erhielten wir l’addition, die aus einem dahin gekritzelten "2 x menu" bestand. Wir zahlten und gingen erleichtert zu unserem dicken Antoine.

 

Auf dem Heimweg überholten wir zwischen Ota und Porto drei Radfahrer (unsere Tischnachbarn), begegneten im engen Bereich auf der D81 jedoch keiner Menschenseele und atmeten auf, als sich plötzlich ein schwarz-weißer Kuhpopo am Straßenrand zeigte. Und kurz darauf noch einer… kurz vor unserer Résidence huschten ein großes Wildschwein und drei gestreifte Frischlinge über die schmale Straße.

 

Vive la Corse!

 

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