Vom schwarzen Schwein benuschelt - zwischen den Welten

Zwischen den Welten fühle ich mich. Nicht mehr zwischen den zerklüfteten Steilküsten Korsikas und noch nicht zurück in den Großstadtschluchten Frankfurts. Ein Stück meiner Seele ist auf der Insel geblieben, dessen Ruf ich eines hoffentlich nicht allzu fernen Tages folgen werde. Korsika hat mich hingerissen, verzaubert.

 

Die letzten Tage auf der Insel waren sehr intensiv, schienen zu versuchen, uns mit ihrer Schönheit davon zu überzeugen, noch viel länger zu bleiben. Wir haben so vieles zurückgelassen, was wir am liebsten noch viel genauer erkundet hätten und noch viel mehr, was wir noch gar nicht kennen. Korsika berührt, bewegt. Ich will zurück.

 

Wir sind der krasse Gegensatz von jenen Korsika-Reisenden, die in 10 Tagen mindestens alles gesehen haben wollen. Man könnte es auch faul nennen, dazu stehe ich. Die meiste Zeit sind wir in „unserer“ Bucht geblieben, haben ihre Wildheit und Schönheit, ihre Wärme und Hitze, aber auch ihre schroffe Kälte und ihre Gefahren auf uns wirken lassen, aufgesogen, verinnerlicht. Diese Insel – so wie wir sie hauptsächlich in der Bucht von Porto erlebt haben – ist ganz und gar nicht lieblich, sondern kann durchaus auch bedrohlich sein. Wenn man ihre Natur jedoch respektiert und GMV (gesunden Menschenverstand) walten lässt, ist sie ein Genuss.

 

Möglicherweise ist es eine Schande, dass wir uns die beeindruckende, überwältigend schöne Bergwelt lediglich von ziemlich weit unten angesehen haben. Zum einen haben wir – s. o. – ein recht faules Gebaren an den Tag gelegt. Wir sind zwar zwei alte Hexen, wollten es aber beruflich noch einmal wissen und haben beide auf unsere alten Tage noch einmal etwas Neues begonnen. Ines macht zur Zeit ihren 2. Facharzt und ich habe Anfang des letzten Jahres die Firma gewechselt, um nicht mehr nur als Projekt-Assistentin in der Klinischen Forschung, sondern als Projekt-Managerin in demselben Bereich das Katerfutter für meine Piratenmonsterchen zu verdienen.

Diese Herausforderungen fordern allerdings Tribute und so waren wir beide wieder einmal mehr als urlaubsreif, als wir die Insel enterten. Uns ist schon bewusst, dass es fast schon Verschwendung ist, nicht durch die Berge zu wandern oder mit dem Rennrad Korsika zu entdecken. Dennoch – warum nicht auch mit dem Mut zur Langsamkeit genießen? Ich bin leider so ganz und gar keine Bergziege, ich habe Höhenangst und zeitweise Schwindelprobleme und habe mich daher 2015 bei einem „Sonntagsspaziergang“ (war so im Reiseführer ausgewiesen) auf Island vorsichtig ausgedrückt grotesk verhalten, so dass ich froh sein kann, das sich Ines trotz dieser denkwürdigen Wanderung noch in meiner Gesellschaft Gebirgen nähert.

 

Das alles soll keine Rechtfertigung für unser Urlaubsverhalten sein. Vielmehr denke ich, dass jeder diese Insel auf seine Weise und nach seinen Möglichkeiten für sich entdecken darf, solange die Achtung und der Respekt vor der Natur sowie den Tieren und Menschen, die hier leben, an erster Stelle stehen.

 

Nachdem wir am Montag „unsere“ Bucht vom Meer aus genossen hatten, waren wir am Dienstagmorgen sehr traurig, packen und die Résidence Marina Livia verlassen zu müssen. Unser Chalet aus Holz war einfach, aber sehr zweckmäßig. Insbesondere die immer schattige Terrasse war an den zumeist heißen Tagen ein erholsamer Ort, wenn man von unserem direkten bajuwarischen Nachbarn einmal absieht, der uns mit seinem lauten, stets konservativen und sehr despotischen Familienmanagement gehörig gegen den Strich ging. Die Unsympathie war mit Sicherheit gegenseitig, so hoffen wir jedenfalls.

 

Mittags beluden wir unseren geduldigen dicken Antoine und verließen mit ihm in sehr gedrückter Stimmung unseren strahlenden Golfe de Porto Richtung Calvi. In Partinello zelebrierten wir beinahe eine ganze Schweigeminute für unsere freundlichen Nachbarn aus dem Korsikaforum L‘Breizh au coeur, seine Frau und den Dicken (ein Labrador), die schon ein paar Tage vor uns Abschied von Korsika nehmen mussten und die uns für Prinzessinnen hielten (wer uns live und in Farbe kennt, lacht gerade laut und dreckig), weil sie uns bisher nur virtuell kennengelernt hatten. Es war ein Genuss, Deine Beiträge zu verfolgen, Mario, und unsere Umgebung aus Eurer ganz anderen, viel aktiveren Perspektive wahrnehmen zu dürfen. Unser Ziel am Dienstag war glücklicherweise noch nicht der Flughafen La Poretta in Bastia, sondern Algajola an der Nordküste Korsikas.

Bis Galéria kannten wir die Strecke schon, danach befuhren wir wieder einmal Neuland. Nach ein paar Kilometern waren die Berge nicht mehr ganz so schroff wie zuvor, zeitweise standen sie noch nicht einmal im Weg herum, so dass wir an den Scheitelpunkten unsere Blicke sehr weit schweifen lassen konnten.

 

Hinter den Bergen die Nordwestküste Korsikas
Hinter den Bergen die Nordwestküste Korsikas

 

Die Vielseitigkeit der Landschaften Korsikas beeindruckte mich einmal mehr. Wir kamen jetzt schneller voran, die Kurvenhäufigkeit pro Meter hatte deutlich zu Antoines Gunsten abgenommen. Schon bald waren wir auf der Höhe von Calvi. Unsere angelsächsische Studienrätin (Navi) brachte uns zielsicher nach Algajola, wo wir ein hübsches Zimmer in einem Strandhotel bezogen. Das Mittelmeer lockte auch hier verführerisch. Wir wollten unbedingt vor unserem Abflug noch einmal schnorcheln und das gleich vor der Hoteltür:

 

 

Was mir zunächst nicht so richtig gelingen wollte, weil meine schon seit dem Hinflug präsente Erkältung nervte, so dass ich zwar unfreiwillig, trotzdem sinnvoll meinen Nasen-Rachen-Raum mit Salzwasser spülte und hustend und prustend versuchte, auf einem Stein auszuruhen. Leider war dieser sehr glitschig, ich rutschte ab und landete slapstickmäßig wieder im Wasser, was einen anderen Schnorchler zum Lachen brachte. Ich gackerte fröhlich mit und versuchte, den Schnorchel wieder an der Taucherbrille zu befestigen, als mir Ines auf die Schulter tippte und mich zum sofortigen Mitkommen aufforderte. Sie hatte einen Octopus gesehen und wollte mir diesen unbedingt zeigen. Ich wagte zwar zu bezweifeln, dass dieser nichts Besseres zu tun hatte, als auf die Audienz von zwei teilgebräunten Dickfischen zu warten, aber neugierig war ich doch und so folgte ich Ines. Und war wie kurz zuvor beeindruckt von den riesigen Schwärmen kleiner, grün glänzender Fischchen, die wir unter der Wasseroberfläche trafen, als wir uns dem Wohnzimmer des Tintenfischs zwischen großen Steinen näherten. Die Fische in den Schwärmen wurden größer und ich weidete mich an der submarinen Schönheit dieser Küste, während Ines den Octopus suchte – und ihn tatsächlich fand. Ich war hin und weg. Der Kerl sah genauso aus wie dieses bei Wikipedia geklaute Exemplar.

 

 

Begleitet wurde er von zwei größeren schwarz-weiß gestreiften Fischen. Das Schauspiel, wie er seine Fangarme ausstreckte, dabei seine Schwimmhäute zeigte und sich fortbewegte, bleibt unvergessen. Und auch seine Eskorte. Es sah fast so aus, als ob die Schwarz-Weiß-Gestreiften auf ihn aufpassten. Nach einiger Zeit war einer von ihnen verschwunden, der zweite jedoch blieb. Ich versuchte, mich so wenig wie möglich zu bewegen, um die Meeresbewohner nicht zu stören. Der Fischreichtum so nah am Strand von Algajola war überwältigend. So viele Arten hatte ich im Golf von Porto nicht gesehen. Ich paddelte daher nur ganz behutsam mit den Händen, um den Octopus nicht zu verlieren. Sein tiefsinniger Blick hatte etwas Melancholisches und meine Faszination war so groß, dass ich erst sehr spät bemerkte, dass ich längst fror. Egal! Schließlich signalisierte ich Ines, dass wir uns dann doch wohl von der Unterwasserwelt verabschieden sollten, denn schließlich hatten wir abends noch ein Date. Wir wärmten uns kurz am Strand in der Sonne wieder auf und schlufften dann ziemlich fix und alle zurück ins Hotel zwecks Duschen und Aufhübschen. Lumio und unser zweites L’Alba-Konzert warteten!

 

Ich freute mich schon sehr auf das Konzert – und über den richtig guten Tipp, den mir wolfgang (klein geschrieben) aus dem Forum noch vor unserer Anreise gegeben hatte. Wir hatten L’Alba zwar unvorhergesehen schon am 18. Juni in Ota erlebt, aber das war natürlich längst nicht genug.

 

Lumio ist ein sehr schöner Ort in den nördlichen Höhenzügen, nur wenige Kilometer entfernt von Algajola und Calvi. Wir hätten diese kleine Gemeinde gern viel genauer erkundet, aber dazu fehlte uns die Zeit, denn wir wollten schließlich auch noch etwas essen. Das Café in der Nähe der Kirche Sainte Marie war nach kurzem Zögern genau die richtige Anlaufstelle, denn es wurde hier sowohl eine grandiose Aussicht auf die Bucht als auch ein sehr leckeres Abendessen geboten.

 

 

Obendrein war der Weg zur Kirche mit vollstem Magen ein denkbar kurzer, so dass wir auch dieses Mal wieder früh genug da waren, um in der ersten Reihe sitzen zu können. Die Kirche in Lumio ist sehr viel größer und prächtiger als die in Ota, wobei diese mir mit ihrer einfachen korsischen Ausstattung besser gefallen hatte. Unser Konzertgenuss wurde ein wenig von einem spät eintreffenden Touri-Pärchen getrübt, dass sich unbedingt noch neben uns quetschen und nicht ganz angemessen benehmen musste. Trotzdem waren wir wieder hingerissen von den Darbietungen der Gruppe L’Alba, insbesondere, da uns schon längst die Melancholie im Hinblick auf unseren bevorstehenden Abflug fest im Griff hatte. Gegen 23:00 Uhr verließen wir Lumio und genossen in unserer Hotelbar am Strand noch einen Absacker, freuten uns dabei retrospektiv über unseren überwältigend schönen Urlaub und waren uns einig, dass wir unbedingt eines Tages wiederkommen müssen.

 

Im Gegensatz zum Golf von Porto kühlte es hier nachts nur sehr wenig ab, so dass ich lange nicht einschlafen konnte. Und so ließ ich zum Klang der Brandung vor einem lachenden und einem weinenden geistigen Auge die Bilder der letzten zwei Wochen Revue passieren.

 

Die Fahrt nach Bastia am nächsten sehr frühen Morgen wurde dadurch erschwert, dass wir koffeinsüchtigen Rumpentrumpens um 06:00 Uhr morgens nicht nur im Hotel keinen, sondern auch unterwegs überhaupt keinen Kaffee bekamen wegen viel zu früh. Darauf waren wir nach einer Unterhaltung mit der Rezeptionistin am Vorabend zwar vorbereitet, aber leicht war es nicht.

 

Ponte Leccia
Ponte Leccia

 

Schließlich entdeckten wir in Ponte Leccia zwischen Bahnhof und Brücke eine gastliche Stätte, in der noch nicht ganz wache Menschen auf dem Weg zur Arbeit ihre Fahrt unterbrachen, um sich mit Espressi zu reanimieren. Wir fielen natürlich wieder einmal kaum auf – egal, das Phänomen kennen wir und so ließen wir uns zunächst die irrtümlich gebrachten Espressi (einen so starken hatte ich bislang noch NIE getrunken) und danach Cafés au lait mit Croissants schmecken. Eine grau-weiße Katze fand uns interessant und posierte freundlich, geleitete uns schließlich sogar noch zu unserem dicken Antoine, der uns durch wiederum ganz andere Bergformationen zum Flughafen brachte.

 

 

Der Abschied von unserem treuen Fahrzeug (und auch von Frau Studienrätin) fiel uns sehr, sehr schwer. Um nicht in allzu tiefen Depressionen am Flughafen zu versinken, befassten wir uns eingehend mit Schweinkram, bevor wir (mitnichten wegen der Erregung öffentlichen Ärgernisses) die Insel verlassen mussten.