Jedem Anfang geht ein Abschied voraus

Noch nie zuvor hat mich ein Jahreswechsel so sehr mitgenommen. Und das meine ich keineswegs nur im negativen Sinne. Mir war vorher schon bewusst, dass diese Tage nicht leicht werden würden. Ernsthafte Themen hatten sich bereits abgezeichnet, hier vor allem die unheimliche verzehrende Krankheit von Ines' Katze Maggie. 

 

"Abschied nehmen (müssen) gehört unbedingt dazu", habe ich dieses Foto genannt. Es entstand am Abend des 30. Dezember vor der Tierarztpraxis, bevor Ines und ich Maggie ihrer Tierärztin vorgestellt haben. Ines wollte sich vergewissern, ob es noch therapeutische Möglichkeiten gab, um Maggie zu helfen.  Diese waren jedoch ausgereizt. Dennoch bestätigte Maggies Tierärztin, dass die kleine abgemagerte Katze offensichtlich keine Schmerzen und auf einem zwar niedrigen Niveau durchaus noch Lebensqualität hatte. Wir nahmen die Kleine aufatmend wieder mit nach Hause und ich freute mich darauf, meine kleine Freundin nach Kräften verwöhnen zu dürfen.

 

Dieses akzeptierte Maggie nicht nur, sondern sie genoss es in den Tagen darauf in vollen Zügen. Sie fraß sogar mit gutem Appetit ihr Katzenfutter, während ich ihr allerhand Unfug erzählte, bevor sie von  mir ihren Schlabberschmatz verlangte. Ein Tütchen war längst nicht genug! MEHR!!! Als sie befand, dass ihr Bäuchlein voll genug war, legte sie sich schlafen und genoss unsere Nähe und die Streicheleinheiten.

 

 

Die Blumen, die Maggie neugierig musterte, habe ich Ines' Mutter geschenkt, als wir sie am Silvester-Nachmittag im Seniorenheim besuchten. Einerseits wurde mir auch während der Stunden  hier die über diesen Tagen schwebende Vergänglichkeit bewusst, andererseits aber auch ein durchaus lebendiges Gefühl des Unrechts, mit dem Ines schon lange konfrontiert wird. Wir haben später und am nächsten Tag lange darüber gesprochen und ich bin mir sicher, dass Ines eine neue Herangehensweise finden wird. 

 

 

Das Jahr galoppierte seinem Ende entgegen, so dass wir uns schon sehr bald in Schale geworfen haben und zum Gewandhaus gefahren sind.  Hier stand Orgelmusik im Mittelpunkt - Anlass genug für mich, meinem Kulturbanausentum zu frönen. 

 

Ernstes Ding, OK - aber wahre Freude... NOPE  :-)
Ernstes Ding, OK - aber wahre Freude... NOPE :-)

Es lag mitnichten am begnadeten Leipziger Gewandhaus-Organisten Michael Schönheit, das mir die Veranstaltung nicht so richtig gefallen wollte. Es ist schlicht und ergreifend nicht meins, wobei mich das zweite, leise Stück dennoch zu berühren vermochte. Ich fühlte mich in der Gegenwart des Publikums, das hauptsächlich aus älteren, sehr gesetzten Ehepaaren bestand, nicht wohl. Zumal sich diese teilweise sehr eigenartig benahmen. Ein älterer Herr ganz in unserer Nähe turnte die ganze Zeit über auf seinem Platz herum. Keine Ahnung, ob er unter restless legs litt oder aber seinen Kreislauf in Schwung bringen wollte... andere verließen schon vor und während des wohlverdienten Applauses hurtig den Großen Saal, um ja die ersten an der Sektausgabe und dem Silvesterbuffet zu sein... 

Das konnte ich im Nachhinein nicht nachvollziehen, da es mir leider trotz des immensen Gedränges (Essen für umme! ließ die Mehrheit der gesetzten Herrschaften gierig die Ellenbogen ausfahren) gelang, das eine oder andere Häppchen zu vertilgen. Das gefiel meinem Magen ganz und gar nicht, so dass es mir im Verlauf der Nacht ausgesprochen übel wurde.

 

Vorher fand aber noch das Silvester-Feuerwerk statt. Wir hatten einen hervorragenden Blick auf den Augustusplatz, auf dem eine großartige Feuerwerk-Choreographie in Szene gesetzt wurde, die ich trotz meiner absolut ablehnenden Haltung Feuerwerk gegenüber zu würdigen wusste.  

 

 

Erst am nächsten Tag hörte ich von der Katastrophe, die sich in jener Nacht durch Unachtsamkeit im Menschenaffenhaus des Krefelder Zoos ereignet hatte. 

"Zutiefst betroffen fordere ich, dass die sinnlose, unkontrollierte, besoffene Knallerei endlich verboten wird. Tiere haben in dieser Hinsicht noch immer keine Lobby. Wenn Menschen so blöd sind, sich mit Feuerwerk selbst zu verletzen oder umzubringen, ist das ihr Problem. Nicht aber, wenn Unschuldige und hier insbesondere die Tiere mit hineingezogen werden und darunter so grausam leiden müssen.

Ich weine um die Affen", schrieb ich dazu. 

 

Obwohl ich überhaupt keinen Alk trinke, hatte ich am Neujahrsmorgen einen veritablen, stattlichen Neujahrskater. Dieser heißt Mephi(sto) und ist Ines' prachtvoller schwarzer Fürst der Finsternis. Er beäugte mich kritisch, als ich erwachte und so kochte ich erst einmal eimerweise Kaffee, denn schließlich hatte Ines Geburtstag und der sollte angemessen und vor allem wach gefeiert werden.  

 

 

Nach unserem ausführlichen Geburtstagsfrühstück habe ich es bereut, meine Kamera nicht dabei zu haben, denn Maggie zeigte mir auf Ines Schulter ruhend  ihr sonnenbeschienenes "Mein Mensch - Gesicht", das ich so sehr liebe. Ich habe diese berührende Szene daher mit dem Handy aufgenommen.

 

 

Der kleinen Katze hatten sowohl ihr Frühstück als auch die beiden Schlabberschmatz-Desserts sehr gut geschmeckt. Sie machte einen sehr zufriedenen Eindruck und rollte sich nach dem Foto-Shooting zu einem ausgedehnten Mittagsschläfchen zusammen. 

 

Daher nutzten wir Menschen das wunderschöne Wetter und machten einen wahrhaft rumpentrumpigen Ausflug nach Goseck und an die Saale.  

 

Ines zeigte ihrem neuen Rabenschädel seine Artgenossen. Dieser Schädel gehört zu der Kette und dem Armband, die ich ihr zum Geburtstag geschenkt hatte. 

 

Foto von Ines, dennoch - no paparazzi, please!
Foto von Ines, dennoch - no paparazzi, please!
Foto von Ines
Foto von Ines

 

Nali Bakenfalter-Rumpentrumpen begann schon einmal, sich an die neue Lichtnahrung zu gewöhnen und verzehrte eine große Menge davon. Nein, eine Lichtgestalt bin ich davon nicht geworden. Dennoch war dieser wunderschöne, lange Spaziergang schon einmal eine gute Vorbereitung auf meinen neuen Anfang, dem im Moment ein durchaus schmerzhafter Abschied vorausgeht.

 

Ab übermorgen möchte ich  endlich meine schlechten Ernährungsgewohnheiten ändern und lasse mich daher auf eine gesunde Online-Ernährungsumstellung mit einem sehr niedrigen Kohlehydratanteil und viel moderatem Sport (schnelles Gehen, mindestens 10 000 Schritte am Tag, HILFE!!!)  ein - mit dem Ziel, viel Gewicht zu verlieren und endlich wieder fit und beweglich zu werden. In den letzten Jahren war mein Diabetes Typ 1 immer gut bis sehr gut eingestellt, allerdings habe ich dazu viel zu viel Insulin gebraucht, welches leider als Anabolikum die negative Begleiterscheinung hat, beim Anlegen von  Körperfettdepots zu "helfen". 

 

Das wird alles sehr spannend... allerdings habe ich auch ganz schön viel Angst davor. Ich bin und bleibe doch ein Suchtbeutel und weiß noch nicht, wie ich ohne meine Seelentröster Kuchen und Schokolade klar kommen werde... Darüber hinaus wird es mit meinem Zwangsgatten Mel, dem blöden Typ 1, nicht leicht, Unterzuckerungen zu vermeiden, die ja die sofortige Gabe von allerhand Kohlehydraten verlangen...

 

Zweifel hin, Zweifel her - ich möchte diese Chance nutzen und es ab Dienstag versuchen. 

 

Unser Spaziergang mit Blick auf die Saale war malerisch:

 

Das Sonnenobservatorium in Goseck im Sonnenuntergang - ein für uns beide magischer Ort. 

 

Auch am 2. Januar hatte Maggie morgens laut motzend ihr Frühstück verlangt, es vertilgt und mich  danach noch um ein Tütchen Schlabberschmatz erpresst. 

 

Wir frühstückten in aller Ruhe. Danach erschreckte uns ein schrilles Geräusch, das nicht genau zu definieren war. Ein Schrei von draußen vielleicht? Wir stellten fest, dass Maggie verschwunden war und suchten sie. Ines entdeckte schließlich ihr Pfötchen im Schlafzimmer unter einer Kommode und meinte beruhigend, dass Maggie sich öfter hierhin zurückzog. 

 

Ich setzte mich an den Tisch und beantwortete trotz Urlaub einige Firmen-E-Mails, bis Maggie gegen Mittag plötzlich nass und verzweifelt schwankend vor uns stand. Sie muss in einer Speichelpfütze gelegen haben und hatte in der kurzen Zeit massivst abgebaut. Ines hat sie hochgenommen, trocken gerieben. Auch ich habe sie gehalten und war entsetzt, kaum noch Körperspannung spüren zu können. Maggie wirkte sehr, sehr unglücklich, konnte sich nicht mehr auf ihren Beinchen halten. Wir beschlossen, noch ein bisschen abzuwarten, doch es war offensichtlich, dass es Maggie nicht wieder besser gehen würde. Daher waren Ines und ich uns einig, dass Maggie von ihrem Leid erlöst werden musste. 

 

Die Tierärztin untersuchte Maggie nochmals und stimmte uns zu, dass eine Besserung nicht mehr eintreten würde. Ines hielt Maggie in ihren Armen, als die Tierärztin ihr eine hohe Dosis Schlafmittel injizierte, und ließ sie nicht mehr los. Zusammen haben wir die Kleine in den Schlaf gestreichelt. Sie musste noch einmal erbrechen, konnte sich danach aber endlich entspannen und schlief friedlich ein, bevor wenig später ihre Wärme für immer ging. 

 

Später am Abend schrieb Ines folgendes:

 

"Meine Maggie ist nicht mehr.

 

Die ganzen über sechs Jahre, die sie bei mir lebte, war sie ein Sorgenkind mit ihren chronischen Krankheiten... der Vorbesitzer wollte sie deshalb mit vier Jahren einschläfern lassen. Maggie aber hat sich mit Hilfe des Tierarztes wieder ins Leben gekämpft und danach - davon bin ich fest überzeugt - nicht ohne Hintersinn einen Medizinerinnenhaushalt ausgesucht. Sie hat mir eine Menge Sorgen gemacht, aber alles, was ich an sie aufgewendet habe, um ein Vielfaches durch ihre Liebe und ihr Vertrauen zurückgegeben. So eine liebenswerte, geduldige und freundliche Katze werde ich wohl nie wieder finden. Sie war mir näher als viele Menschen in meinem Leben.

Schon die letzten Monate ging es ihr nicht gut, aber ich hatte noch auf eine Weile gehofft, die ich mit ihr verbringen und es ihr so schön wie möglich machen könnte... Noch heute morgen stand sie schimpfend vor ihrem Napf, weil es ihr mit der Fütterung nicht schnell genug ging... wenige Stunden später hatte sich ihr Zustand rasant verschlechtert. Ich konnte nichts anderes mehr tun als sie gehen zu lassen, und sie ist auf meinem Arm eingeschlafen, mit dem "Mein-Mensch-Gesicht", das ich so an ihr geliebt habe...

Danke, Maggie, dass es dich gab. Danke, Nali Bakenfalter, dass du für uns da warst und es für mich immer bist."

 

 

Dieses kleine Segelboot aus Spinnwebenfetzen über dem Wasser der Meckel (Mühlpleiße)  habe ich an einem sonnigen Morgen bei Ines wahrgenommen. Es hat mich seltsam berührt; ich musste es fotografieren. Es hat mich an ein Geisterschiff erinnert.

 

Inzwischen weiß ich um seine Bedeutung.

Maggies geschundener Körper hat uns am 2. Januar 2020 nachmittags verlassen. Die kleine Katze schläft nun friedlich für immer. Ihre riesengroße liebevolle Seele jedoch hat das kleine Segelboot bestiegen und sich auf die Reise gemacht. Gleichzeitig schnurrt sie auf ihrem Ehrenplatz in meinem Herzen für immer weiter. 

 

Regina Versen, 5. Januar 2020