Vom Dach steigt Rauch

Corona verlangt Disziplin. Sehr viel sogar. Auch - und gerade weil - ich in der glücklichen Lage bin, "systemrelevant" arbeiten zu dürfen. Vorwiegend im Home Office als Projekt-Managerin in der Klinischen Forschung, genauer gesagt im Bereich  Clinical Supplies.  Die Anforderungen sind zur Zeit noch größer als sonst, da der Versand von Medikamenten (nicht nur von Studienmedikamenten) in die ganze Welt durch die virusbedingten Restriktionen in der Logistik von Tag zu Tag komplizierter wird und neue Prozesse schnellstmöglich implementiert werden müssen, wie z. B. DTP (direct to patient) Lieferung, weil vielen Studienpatienten nicht mehr zugemutet werden kann, Arztpraxen und Krankenhäuser aufzusuchen. Für mich bedeutet Home Office mindestens 9 - 10 Stunden Arbeit pro Tag unter erschwerten Bedingungen. Sicher, das ist Jammern auf hohem Niveau. Ich weiß es durchaus zu schätzen, weiterhin arbeiten zu dürfen, auch wenn das sehr plötzlich vorbei sein kann, falls unser Lager bzw. die Produktion geschlossen werden müssen. Die Nerven liegen jeden Tag ein bisschen blanker, was nicht nur in den unzähligen Online-Meetings, Videokonferenzen oder am Telefon deutlich spürbar ist, sondern noch viel mehr an dem einen Tag pro Woche, den ich in der Firma verbringe.

 

Zwecks Erhaltung der seelischen und körperlichen Gesundheit muss daher ein Ausgleich her. Ich bin in der glücklichen Lage, dass ich schon Anfang Januar mit meinem "neuen Lebenswandel" sprich Gewichtsreduktion durch Ernährungsumstellung mit sehr viel Bewegung begonnen und mich bis zum gewaltsamen Eindringen des Virus in unser aller Leben daran gewöhnt hatte.

 

Daher zwinge ich mich jeden Morgen  dazu, noch vor dem Wachwerden/Frühstück in mein Home Office Outfit (Jeans, Shirt) sowie in meine Wanderschuhe zu klettern und spätestens um 07:00 Uhr loszulaufen. Auch wenn ich ums Verrecken keine Lust dazu habe... nicht nachdenken, anziehen und einfach der Müdigkeit zum Trotz rausstolpern...

 

 

Solche Impressionen sowie mein akustisches Soulfood in den Ohren zeigen mir, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Meine noch lahmen und schmerzenden Gelenke lassen sich davon überzeugen, das Bewegung durchaus hülft! 

 

In der letzten Zeit habe ich mich an eine recht anspruchsvolle Morgenrunde (knapp 6000 Schritte) stracks den Sachsenhäuser Berg hoch und später wieder runter gewöhnt. Diese Routine gibt mir Halt in dieser unsicheren Zeit und nach einigen hundert Metern freue ich mich jeden Morgen, wieder einmal meinen Schweinehund überlistet und ihn einfach mit Gassi genommen zu haben. Es sind kaum Leute unterwegs um diese Zeit, meine Gedanken laufen manchmal schneller als ich, beschäftigen sich schon einmal mit den später zu erledigenden Prioritäten in meinem Katerbüro. Oft gehen sie aber auch einfach nur spazieren und freuen sich über kleine Kostbarkeiten am Wegesrand...

 

 

Es erstaunt mich immer wieder, wie naturverbunden meine nähere Umgebung ist, obwohl Frankfurts größter Stadtteil, mein Sachsenhausen, sehr dicht bevölkert ist. Mein Glück ist, dass ich am südlichen Rand lebe und inzwischen wieder beweglich genug bin, um von zu Hause aus die unbebauten Areale erreichen zu können - teils verwilderte Kleingärten, Wiesen, Wald...

 

Selbst zwischen all den Villen und Palästen auf dem Lerchesberg, in denen  Frankfurts Reiche, Schöne, Politiker, sonstige VIPs und Diplomaten leben, finden sich immer wieder Wildnis und sehr viel bescheidenere Behausungen... 

 

 

 

An einem sehr frostigen Morgen vor ein paar Tagen habe ich herausgefunden, woher der Duft nach Holzfeuer kommt, der mir auf meinen morgendlichen Runden schon vertraut geworden ist.

 

Dieses Bild hat mich berührt, ich bin stehengeblieben, habe den Rauch beobachtet, vermochte  plötzlich der Entfernung zum Trotz in das Innere der kleinen Hütte zu sehen. Ein alter Mensch in einem aus Wollresten gestrickten, dicken Pullover und einer Weste darüber reibt sich die klammen Hände über seiner Feuerstelle, bevor er einen Kessel Wasser aufsetzt. Noch ist es eiskalt in der kleinen Behausung, das Nachtlager ist zerwühlt. Die vielen zerschlissenen Kissen und Decken werden später sorgsam geordnet, bevor ein alter Teddy und zwei nachtaktive Katzen ihrem Menschen dort beim Kaffeetrinken und beim Lesen alter Zeitungen Gesellschaft leisten. 

 

 

Das kleine Haus unter Bäumen am See.

Vom Dach steigt Rauch.

Fehlte er

Wie trostlos dann wären

Haus, Bäume und See.

 

(Bertolt Brecht, Der Rauch)

 

 

 

 

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