Sieben Radieschen

 

"Oink?!", fragte mich das Künsterlerschwein auf der Mörfelder Landstraße, als ich an ihm vorbeihuschte.

"Eberbach", antwortete ich freundlich.

"Die Antwort ist korrekt, eine gute Wahl", grunzte die Sau zufrieden. "Sieh zu, dass du Land gewinnst, der Zug wartet nicht", hörte ich noch, als ich Richtung Südbahnhof galoppierte. Ich war tatsächlich spät dran - immerhin mussten die sieben Radieschen, vier Tomaten, dick belegte Käsebrote und der feine Joghurt mit frischen  Himbeeren zunächst noch eingetopft werden, nachdem ich einigermaßen verpeilt zu spät aufgestanden war. Nur gut, dass ich die Zugtickets schon am Vorabend gekauft hatte, denn ich kenne meinen faulen Schweinehund nur zu gut, der mir jeden Morgen suggeriert, dass diese Woche Urlaub ist und daher keinesfalls aufgestanden werden muss.

 

Die Bahnfahrt war angenehm - es war nicht zu voll im IC und in der S-Bahn von Heidelberg nach Eberbach, die Masken wurden sogar am Frankfurter Hauptbahnhof von fast allen getragen. Auffällig war lediglich, dass vor allem jüngere männliche Zeitgenossen ihre Zinken raushängen lassen mussten. 

 

 

Eine Piratte zieht es ans Wasser und so stand fest, dass ich mein Frühstück am Neckar verzehren wollte. Eberbach ist ein sehr hübsches kleines Städtchen am Rand des südlichen Odenwalds. Es war noch sehr schattig um kurz nach 10:00 Uhr, so dass ich zum letzten Mal an diesem Mittwoch sehr froh über meine Jeansjacke war. 

 

 

Da ich von meinen übrigen Radieschen Familie Schwan nichts abgeben wollte, spazierte ich auf der Suche nach dem Panoramarundweg um den Ohrsberg (Eberbachs Hausberg) durch die fachwerkumsäumten Gassen des Städtchens und kaufte mir vorsichtshalber noch einen großen Eimer Kaffee, der mene Betriebstemperatur noch erhöhte. Kaum vorstellbar, dass ich bis vor kurzem noch gefroren hatte... 

 

Der fliegende Eber freute sich über die Grüße der Sachsenhäuser Künstlersau
Der fliegende Eber freute sich über die Grüße der Sachsenhäuser Künstlersau

 

Der Panoramarundweg durch das schattige Grün des Ohrsbergs versteckte sich erfolgreich vor mir und so schwitzte ich mich über einen großen Umweg zum Friedhof, in dessen Nähe dieser beginnen sollte. Dass der Weg eigentlich nur ein Katzensprung vom Bahnhof entfernt war, stellte ich erst auf dem Rückweg fest. Lieber spät als nie :-) Es war  unglaublich heiß und mein Rucksack wurde immer schwerer, dabei war ich doch noch gar nicht "richtig" losgegangen... immerhin führte mich mein Weg über stark befahrene Straße stracks bergauf. Bis zum Friedhof. Kurz danach sah ich endlich ein Schild, auf dem stand, dass ich auf dem richtigen Weg war. Dieser führte mich eine sehr steile Treppe hinab... (wollen die mich hier vergackeiern...)? Immerhin lief ich jetzt im Schatten des Waldes. Es ging jetzt steil den Ohrsberg hinauf, zum Glück in Serpentinen. Eine Piratte ist nun einmal keine Bergziege. Vor lauter Bäumen gab es nicht viel Panorama zu sehen. Daher hoffte ich auf den Aussichtsturm, der sich nach einem steilen Anstieg freiwillig von mir finden ließ...

 

 

Knapp 100 Stufen später hatte ich um Punkt 12:00 Uhr mittags endlich mein Panorama gefunden:

 

 

Fröhlich lief ich den Panorama-Rundweg wieder bergab und entdeckte auch den jüdischen Friedhof, den ich auf dem Hinweg schon vermisst hatte.

 

 

Erstaunlich schnell ließ sich der Bahnhof wiederfinden und so beschloss ich, diese Tatsache auch zu nutzen.  Es war sehr, sehr heiß und so wartete ich im Schatten am Bahnsteig auf die S-Bahn nach Heidelberg, trank eine ganze Menge und verzehrte die restlichen fünf Radieschen, bevor ich die S-Bahn enterte. Die Strecke am Neckar entlang ist malerisch.  

 

Neckargemünd
Neckargemünd

 

In Heidelberg verließ ich die Bahn an der Station "Heidelberg Altstadt" und lief auf der Suche nach derselben ein ganzes Stück am Neckar entlang.

 

 

Wahrscheinlich Corona-bedingt sah ich zum einen im Vergleich zu früher nicht so viele und zum anderen hauptsächlich europäisch aussehende Touristen auf der Alten Brücke und in der Innenstadt, wobei ich die Hauptstraße dennoch als viel zu voll empfand.

 

Daher schlenderte ich durch Seitenstraßen, ging am Studentenkarzer vorbei und erreichte den Platz vor der Neuen Universität, deren Eingang die Inschrift "Dem lebendigen Geist" ziert. Möge dieser lebendige Geist im Sinne Lessings weiterleben...

 

 

Nachdem mir noch ein schwarzes T-Shirt mit türkisen Pusteblumen zugelaufen war, wollten meine erschöpften Füße nach Hause. Groborientiert lief ich ziemlich weit am Neckar entlang und wähnte kurz vor Ende meiner Motivation den Hauptbahnhof  in meiner Nähe. Dem war aber leider nicht so und der nächste durchgehende Schnellzug Richtung Frankfurt sollte bereits in 20 min. abfahren. Mein inzwischen ebenfalls erschöpftes Hirn gaukelte mir vor, dass bei einem Flex-Ticket die Anreise zum Bahnhof inklusive war und so sprang ich am Bismarckplatz in die nächste Straßenbahn Richtung Hbf. Südseite, was strategisch nicht ganz so klug war, denn zum einen wäre die Nordseite schneller zu erreichen gewesen und zum anderen schwante mir einige Stationen vor dem Hbf., dass sich die Anreise mit Öffis zum Zug sicherlich auf Eberbach beschränkte... Trotzdem erreichte ich die Riesenbaustelle an der Südseite des Hauptbahnhofs unbehelligt und stolperte mit heftig schmerzenden Füßen durch den Staub bis zum richtigen Gleis. Drei Minuten später kam der ICE und ich war froh und glücklich, klimatisiert wieder nach Hause fahren zu können.