Liebes Tagebuch

Drewoldke, 28. Juni 2022

Liebes Tagebuch, 

nachdem vor zwei Jahren der gesamte Campingplatz Drewoldke wegen der quietschenden und Moonwalk tanzenden Nestlinge der Waldohreulen Ornithologe war, verdingten wir uns gestern kollektiv  als Seenotretter.  Der Tauchschrat, unser Nachbar vom letzten Jahr, der sich stets für seine ultrakurzen Tauchgänge (maximal 7 Minuten) aufwendig zu neoprenieren pflegt, guckte gestern auf dem Weg in den baltischen Ozean nicht durch seine Taucherbrille, sondern sehr konzentriert durch ein Fernglas, ließ sich von einem anderen Camper seine Beobachtung bestätigen und telefonierte daraufhin angespannt. Ines und ich folgten

nackichten Auges der Blickrichtung unserer Nachbarn und nahmen schließlich ebenfalls sehr, sehr weit draußen auf dem Meer einen verirrten SUP wahr, der sich offensichtlich überschätzt hatte und nun nicht mehr zurück konnte. SUP??? Liebes Tagebuch, das ist eine neumoderne Spochtart. Stehpinkler  befestigen Boards an ihren Fußgelenken, lassen diese zu Wasser, klettern drauf und rühren mit wichtigen Mienen und ihren Paddeln schließlich Gewässer um. Dabei kann man schon mal auf Abwege kommen, insbesondere, wenn sich der Teich vor der Haustür als Meer mit Strömungen entpuppt. Unser verlorener SUP machte einen verzweifelten Eindruck. Offensichtlich hatte er sich inzwischen  erschöpft auf sein Brett gekauert. Immer mehr Campingnachbarn bangten mit ihm und die gemeinsame Erleichterung, als schließlich die professionelle Seenotrettung den Verzweifelten an Bord nahm, war riesengroß. 


Den Rest des Tages erholten Ines und ich uns von den Aufregungen und dümpelten turboentspannt in unseren Hängematten und am Strand herum. Abends radelten wir zwecks Fish'n Culture nach Altenkirchen. Der Dorsch war lecker, die Kultur (eine Cellistin gab in der wunderschönen alten Kirche ein Solokonzert) ähm ... interessant. 


Besonders die eigens für sie komponierte  Neue Musik. Mir war der anfangs zu Gehör gegebene olle Bach lieber. Ines' Grinsen kurz vor dem finalen Quietsch hätte mir zu denken geben sollen. Jehntfallz bat sie mich beim Verlassen der Kirche nach einer guten Stunde (zum Glück dauerte das Event nicht noch länger)  um einen Moment meiner Aufmerksamkeit und erörterte bei einer Zigarette unter der Dorflinde sehr anschaulich ihre zu den Klängen der Neuen Musik des letzten Cellostücks visualisierten Eindrücke:

"In einer lichten Vollmondnacht streichen die Geister von Schloss Spycker wihimmernd durch die Trauerweiden am Spycker See und der Stönk (ekelwidriger, im Brackwasser der Rügener Bodden dahinvegetierender  Amphibienfisch, der uns bei unserer Anreise angesichts eines tatsächlich Richtung Stönkvitz weisenden Verkehrsschildes ansprang) erhebt sein hässliches schleimiges Haupt aus dem stinkenden Boddenschlamm."

Ein aus dusteren Wolken grollender Donner war das! Zeichen, unsere lästerlichen Lachsalven vor der Kirche zu unterbrechen  und zickzack vor den dräuenden Gewittern zu fliehen. So schnell waren unsere Ackergäule (Mieträder) noch nie! Die heftigen Unwetter tobten sich freundlicherweise  erst richtig aus, als wir uns in unserem Zelt in schlotterige Sicherheit gebracht hatten. 

Heute früh war das Wetter noch immer sehr düsterlich, bekam am späteren Vormittag aber  wieder sehr viel bessere Laune, so dass wir zu unserer geplanten Radtour um das Nordkap (Rügens) aufbrechen konnten. Nach den nächtlichen Unwettern zeigten sich die Landschaften frisch gewaschen und verwöhnten uns mit überwältigend schönen Bildern.


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