Bordsteinkrater

 

Liebes Tagebuch, 

 

anlässlich meiner aktuell laufenden eingehenden Prüfung der Zentralen Notaufnahmen (ZNA)  Frankfurts sind mir heute Nacht eklatante Unterschiede aufgefallen. Während sie mich am 1. Juni in der Chest Pain Unit des Bethanien kranken Hauses wegen meines im Nachhinein betrachtet relativ harmlosen  Herzrumpumpelns schnell zwecks weiterer Diagnostik  an die Station verkauft hatten, zeichnete sich die Gastfreundschaft der ZNA Uniklinik Frankfurt durch eine zeitlich sehr großzügige, allerdings reichlich unbequeme Beherbergung aus. Ankunft ZNA gestern Abend um 20:07, Entlassung gegen 02:15 heute früh. 

Ganz freiwillig hatte ich mich allerdings nicht auf diesen erneuten ZNA-Qualitätscheck eingelassen. Frau Bakenfalter hatte am frühen Abend auf dem Nachhauseweg von der Arbeit mal wieder "draußen gespielt" (Eingeweihte wissen, dass das mein Synonym für einen blöden Unfall ist). Mein gutes Ratt Herman und ich unterlagen in der sehr engen und stark befahrenen Ortsdurchfahrt von Sossenheim im Zweikampf mit einer niedrigen Bordsteinkante, d. h., dass Herman ins Schleudern geriet und ich mit ihm auf den Bürgersteig knallte. Hauptsächlich auf den re. Ellenbogen, aber auch auf andere Extremitäten und auch mein glücklichweise!!! behelmtes Rübchen touchierte kurz und heftig  den Bürgersteig, was zu vorübergehendem Cerebrummbrumm führte. Ein zur Hilfe eilender Radfahrer erschrak wegen des heftig blutenden Ellenbogens. Dieser sah mit Verlaub richtig Scheiße aus. Ein ekliger Krater zentral, ich befürchtete schon, den Knochen zu sehen. Nachdem ich die beiden potentiellen Ersthelfer getröstet und weggeschickt hatte, kümmerte ich mich um die Erstversorgung des blutenden Ellenbogens, was einhändig bei ordentlichem Wind nicht so einfach war. Aber schließlich gelang. Herman und ich waren nach kleineren Schönheitsreparaturen noch irgendwie fahrtüchtig und gelangten nach Hause. Hier war die 1. Prio selbstverständlich die Versorgung meiner verhungernden Kater. Danach wusch ich mir gründlich die Hände, reinigte diverse Wunden zunächst mit Wasser und fotografierte den Ekelellenkrater für meine Leibärztin Ines. In der Hoffnung, dass sie es nicht so schlimm finden würde. Danach Wunddesinfektion mit Kaliumpermanganat-Lösung und Anlegen von mit Betaisodona versehenen Verbänden. Das kann ich dank sehr viel Übung durch vorausgegangene Draußenspielereignisse richtig gut. Danach hatte ich furchtbar Hunger und verzehrte allerhand. Kaum war ich satt, rief Ines an und bat mich eindringlich, den Ellenbogenkrater unverzüglich in die nekste Notaufnahme zu bringen. Was ich nach anfänglichem Trotzprotest auch tat... 

 

Die Stunden in der ZNA zeichneten sich durch ätzendes Warten in teilweise sehr unangenehmer Gesellschaft aus. Zwei Hubschrauber, diverse RTWs und einige Stunden später kam ich dran, wurde untersucht, geröntgt und durfte weiter warten, bis der Ekelkrater weit nach Mitternacht sehr professionell  (und trotz Betäubung ganz schön schmerzhaft) chirurgisch versorgt wurde. Gebrochen war nix, aber die versorgte tiefe Wunde am Gelenk musste für 5 - 7 Tage ruhiggestellt werden und so erhielt ich die schön wärmende Oberarmgipsschiene. 

Seitdem übe ich Rechtshänderin mich in Improvisation. Schließlich mussten Herman und ich nach 2 Uhr nachts wieder nach Hause kommen. Ich hätte ihn nicht vor Haus 23C seinem Schicksal überlassen können und so schritt ich beherzt zu Fuß mit ihm eine gute halbe Stunde durch das nächtliche Sachsenhausen. Den Gipsarm hatte ich dabei lässig auf dem Lenker geparkt, was zwei Polizeistreifen ganz interessant fanden. Gegen 03:00 Uhr (endlich zu Hause) erzählte ich Ines über das Festnetz von Bakenflatters neuesten Abenteuern.  Mein Handy hatte sich schon Stunden vorher verabschiedet. 

 

Heute geht es mir gar nicht mal so schlecht, nachdem Arm und Schulter mich zunekst nicht schlafen ließen. Die verordnete Antibiose, Pantoprazol und Ibu 600 habe ich aus der Apotheke geholt, nach einem späten Frühstück eingeworfen und übe mich nun in der Bewältigung des Haushalts etc. pp. mit Gipsarm. Katerse verlangen Aufmerksamkeit und Schmuseeinheiten (Joschij wärmt mit gerade hilfsbereit den Schoß) und ich freue mich schon sehr darauf, meine ZNA-Studien morgen Vormittag fortführen zu dürfen. Die unter der 2 m dicken Verbandsschicht eingelegte Lasche zur Wunddrainage muss dann  raus...

 

Update Sonntag, 10. Juli 2022

 

Links rulez, wobei meine beiden Hirnhälften im Hinblick auf die Koordination meines reichlich lädierten Kadavers inzwischen gründlich zerstritten sind. Einiges funzt tatsächlich ganz einfach mit links, wie z. B. längere Texte mit dem linken Zeigefinger ins Handy tippen. Ganz einfach, weil ich das schon immer so mache.

Am PC die Maus mit dem "falschen Händchen" zu bedienen ist schon eine Herausforderung. Mit Hilfe der Tastatur tippen geht nur mit links gar nicht. Die Buchstaben verstecken sich vor mir, sie lassen sich nur blind und mit zwei Händen finden. Keine Ahnung, wie ich so arbeiten soll...

 

Für morgen muss ich mich auf jeden Fall krankschreiben lassen. Trotz heftiger Schmerzen heute Nacht (ich hätte das Ibuflam gestern Abend nicht vergessen dürfen) fand die Wundrevision mit Drainagenentfernung in der ZNA Uniklinik heute angesichts unzähliger Notfälle nicht statt. Als ich um kurz vor 9 dort aufschlug, war es noch ruhig und friedlich. Dummerweise kam ich als bereits initial Versorgte aber zunächst nicht dran. Und später stapelten sich Herzinfarkte, schwer verletzte Kinder, Polizisten und mit dem Hubschrauber eingeflogene Notfälle in der ZNA. Es war sinnlos, weiterhin zu warten und so meldete ich mich nach drei Stunden bei der Empfangsschwester ab. Sie hatte zuvor bestätigt, dass es noch sehr lange dauern würde... Ich hoffe nur, dass ich morgen in einer Chirurgischen Praxis mehr Glück habe, denn die Wunde muss angesehen und die Drainagelasche entfernt werden. Und ich muss wissen, wie lange mich die Gipsschiene noch bespaßen muss.