City lights

Alles schläft, einsam wache nur ich draußen im Stockdunkeln, nachts um halb vier am Rande eines unbebauten Grundstücks. Durch das hohe Gras stapft Robin Hund auf der Suche nach dem richtigen Örtchen. Ihn plagt seit gestern Durchfall. Es muss in seinen Eingeweiden offensichtlich ganz furchtbar rumort und gezwickt haben, denn sonst hätte er mich nicht so rabiat aus meinen kuscheligen Träumen gerissen. Seltsamerweise lässt er sich jetzt sehr viel Zeit mit der Entleerung. Kein Maulwurfshaufen, kein Grasbüschel ist ihm gut genug. Meine hastig übergeworfenen Klamotten haben der frischen Mainacht kaum etwas entgegenzusetzen, so dass ich im Halbschlaf genervt vor mich hin bibbere. Ich habe gar keine Lust, ganz wach zu werden und ein bisschen schwindelig ist es mir noch dazu. Endlich erleichtert sich der kleine Hund und meine Gedanken eilen voraus ins warme Bett. Leider zu voreilig, denn mit einem besorgten Blick Richtung Schwanz vergewissert sich Robin, dass da hinten immer noch nicht alles in Ordnung ist. Er läuft hin und her, schnuppert hier und da und lässt sich alle Zeit der Welt, um den finalen Verdauungsprozess einzuleiten. Während ich dumpf darüber brüte, wie unerhört praktisch es doch ist, einen Hund zu halten, wandert mein Blick zum dunklen Himmel. Über den Häusern hinter der Wiese färbt sich dieser rot. Seltsam, Sonnenaufgang ist doch erst in ein paar Stunden und ganz bestimmt nicht im Nordwesten. Beklommen suche ich nach einer Erklärung. Brennt es vielleicht im Nachbardorf? Das Rot des Nachthimmels intensiviert sich, scheint auf mich zuzukommen. Ich fühle mich bedroht und mir wird ganz heiß vor Schreck, weil ich mich vor Bränden fürchte. Aber eigentlich müsste ich ein so großes Feuer doch riechen können und warum höre ich weder Sirenen noch die Feuerwehr? Ich verstehe gar nichts mehr. Heiser rufe ich nach meinem noch immer sehr beschäftigten Hund, der natürlich weder hört noch kommt. Mein Puls rast – möglicherweise supergaut ein AKW – Biblis vielleicht?! – oder aber der dämliche Ami hat die Bombe gezündet und sie hat es nicht ganz bis zu den Taliban geschafft??? Meine Hände sind feucht, in meinem Hals sitzt ein dicker Kloß und ich raffe überhaupt nichts mehr. Panisch brülle ich nach Robin, der sofort an meiner Seite auftaucht. Wir rennen zurück, mit zitternden Fingern schließe ich Haus- und Wohnungstür auf und lasse sie hinter mir zufallen. Geschafft, das Grauen habe ich ausgesperrt, versuche ich mir einzureden. Ich beschließe, die paranormalen Vorgänge auf der Stelle zu vergessen, trinke zur Beruhigung Saft gleich aus der Flasche und verstecke mich unter meinen Decken. Erschöpft schlafe ich ein.

Am nächsten Morgen ordne ich die Vorgänge der Nacht unter der Rubrik "blöder Alptraum" ein, bis mich das Radio darüber informiert, was nicht nur mich, sondern auch den einen oder anderen Schlaflosen so irritiert hatte, dass er Polizei und Feuerwehr alarmierte – und ich war Zeuge, live und in Farbe dabei, ich habe sie gesehen – die Polarlichter.


rv, 10. Oktober 2007