jenseits

 

 

Telefonpenetration - immer wieder

irgendwann bringt sie es zum Schweigen

und hört

eine Stimme aus dem Jenseits.

Schon vor Jahren

hatte sie ihn für tot erklärt.

Nein, nicht aus Wut.

Sie war überzeugt davon, dass er tatsächlich seine Grenze überschritten hatte:

Al leiner

Border liner

Ber liner

Chroniker, auf Medikamente angewiesen

verrückter Philosoph

hoch intelligent die Welt verfremdend

glasklarer Verstand hinter obdachloser Fassade

Manipulator

Misanthrop

genussvoll die Situation sezierend

in die er Menschen bringen konnte.

Bei der Lotterie um den Verzicht auf Medikamente

setzte er

sein Leben.

Ende.

Sie weiß nicht mehr, wie oft sie ihn verflucht hatte

seit jenem März 2003 in Berlin.

Sie trafen sich blind

und ihre Faszination lag schief.

Entsetzt wollte sie fliehen

stattdessen lachten sie zusammen

und rollten im KaDeWe Treppen.

Es war saukalt

doch ihr Frost im Blick lächelte warm

und die behutsame Annäherung

wahrte Distanz.

Drei Tage später

Frühstück vom Huhn

Sachliches Gespräch, gelassene Fassaden

nebenbei wurde ihr linkes Bein beschlagnahmt

freches Zuppeln am Blaustrumpf.

Sie hielt es für Alberei und mimte Empörung

ob der Distanzverringerung, denn

darf das überhaupt?

Bewusst ließ sie sich überrumpeln

und auf ihn ein.

Warm, zärtlich, fühlte es sich an,

auch noch nachts, als sie wieder allein war.

Sie träumte.

Bis zur Verabredung am nächsten Tag.

Von ihm versetzt

wollte sie das letzte bisschen Hoffnung nicht loslassen

Verwundet, verzweifelt, frierend

zitterte sie durch Berlin, das Handy am Ohr

doch er rief nicht an zwecks Treffpunkt.

Meldete sich einen Tag später,

flüchtete sich in Ausreden

und zog sie dennoch wieder in seinen Bann

immer mal wieder

wenn ihm danach war

und sie gerade nicht an ihn dachte.

Im Juni sahen sie sich wieder

in Berlin

und sie war überzeugt: Nun aber!

Es war sinnlich, nah, schön und seltsam

doch nicht so innig, wie sie es erwartet hatte

Einerseits wollte er ein Kind mit ihr machen

und andererseits blieb er ihr fremd und fern.

Das letzte Mal im Juni,

sonntags,

erschien er zwecks Rendezvousabsage persönlich

für ein paar Minuten

und ihr wurde klar, dass er sie nicht so wollte

wie sie ihn

Ihr Herz schrie vor Schmerz

und sie ertränkte es im Schlachtensee

schwamm ein paar Runden und

bewässerte die Enten mit ihren Tränen.

Danach machte er sich rar

sie telefonierten selten

er rief nicht an und so ließ auch sie es sein

Spät im Sommer, immer noch 2003

wieder in Berlin, diesmal mit Freunden

konnte sie es nicht lassen, rief ihn an,

wollte ihn sehen

aber er sie nicht

und so schlich sie eines Tages im August durch seine Straße.

Das Türschild verriet ihr, dass er mit einer Frau zusammenlebte

und sie wusste nun, dass diese nicht nur seine Kollegin war.

Monate später rief er sie an

hinterrücks

ihre Gesundheit war gerade auf Urlaub

und so verlor sie die Contenance

Brüllte ihn an wegen der Unterschlagung dieser Frau.

Und überhaupt sei er ein Riesenarschloch

teilte sie ihm mit

Er stritt es nicht ab

und so knallte sie den Hörer in die Ecke.

Endlich konnte sie ihn vergessen

und dankte ihrer Wut.

Sie fand eine kleine Liebelei

und danach eine große Liebe

(...)

Auch die ging vorüber.

Männer kamen und gingen

und das Leben wurde älter.

Als es 2006 wurde

sie zog gerade um

tauchte er wieder einmal aus der Versenkung auf -

am Telefon

Sie teilte ihm nochmals unverblümt mit

was sie von ihm hielt.

Er lachte sehr und gab ihr recht.

Daraufhin verstanden sie sich wieder

alberten gnadenlos

und oft, sehr oft.

Einige Wochen später

erzählte er von einem Kongress in ihrer Nähe

den er besuchen würde.

Und verabredete sich mit ihr

im Hotel

in Mainz

Es ist müßig, zu erwähnen, wer sich dort die Beine in den Bauch stand

und wer telefonisch nicht erreichbar war

geschweige denn auftauchte.

Sie wollte sich vor Wut und Enttäuschung den Arsch abbeißen

und haderte lange mit ihrer naiven Dummheit.

Beschloss, ihn unwiderruflich aus ihrem Leben zu streichen

und forschte auch nur ein klein wenig nach

um festzustellen,

dass es ihn nicht mehr zu geben schien.

In Berlin nicht.

Im Internet nicht.

Kein Anschluss unter seinen Nummern.

OK, so what, sie fand sich damit ab und war fortan nicht mehr so blöd..

Wer braucht schon einen

wie hieß er noch ...

Nach einem Jahr ungefähr fand sie in einem Forum

eine Mail von ihm

in der er die sinnliche Begegnung im Hotel in Mainz beschrieb.

Es klang wehmütig, endgültig. Die Nachricht war ein Abschied.

Nicht nur von ihrem Dasein.

Er war nicht mehr da, nie mehr.

Bis vorgestern.

"Was willst du! denn" raunzte sie ihn an, nachdem sie seine Stimme sofort erkannt hatte. Sie stritten sich unverzüglich und stundenlang. Er erwähnte, dass er seit 3 Jahren in Bonn lebte. Das wäre nicht so weit von ihrer Stadt entfernt und sie sollte sich doch gleich ins Auto oder in den Zug setzen, um ihn zu besuchen...

 

 

 

 

[rv, 23. März 2009]